Geistliche Impulse


Predigt 5 Jahresfeier

6. Sonntag der Osterzeit (Joh 14, 23-29; Apg 15; Offb 21,10-14.22-23)

Ich möchte Ihnen/Euch noch einmal die Vision des Johannes ins Gedächtnis rufen, die ihn in Verzückung gebracht hat: von einem Engel wird ihm die heilige Stadt Jerusalem gezeigt. Und Johannes beschreibt sie wie ein Architekt.

Sie liegt auf einem großen, hohen Berg und ist erfüllt von der Herrlichkeit Gottes. Sie glänzt wie ein kostbarer Edelstein. Sie hat 12 Tore in ihrer hohen Mauer – nach jeder Himmelsrichtung drei Tore. Ebenso hat sie 12 Grundsteine, auf denen die hohe Mauer gebaut ist und die sie zusammenhält. Interessant ist, was innerhalb dieser Stadt ist. Innerhalb dieser Stadt ist die Herrlichkeit des Herrn, die sie erstrahlt wie eine Leuchte, und die Leuchte ist das Lamm Gottes – dieses Bild kennen wir aus dem AT – das Lamm als Zeichen der Wehrlosigkeit, der Sanftmut und Milde, der Hingabe und Versöhnung; das Lamm, das sich ohne Widerstand scheren lässt und das schließlich geschlachtet wird. Man schenkt Gott ein solches Lamm aus der eigenen Herde als Versöhnung und Dank (Erntedank!) dafür, dass die Herde gut gedeiht und wächst, und man schlachtet ein Lamm, um es am Fest der Freiheit, am Paschafest zu verzehren.

Johannes der Täufer bezeichnet Jesus, als er ihn in der Wüste auf sich zukommen sieht, als das Lamm Gottes. Er ist in den Augen des Johannes offensichtlich dieses Lamm: wehrlos, sanftmütig, mild, versöhnend und verletzlich, er gibt sich hin wie das Lamm, das zum Schlachten geführt wird. Schließlich greift dieses Bild vom Lamm das letzte Buch der Bibel noch einmal auf, es ist die Leuchte für die heilige Stadt. Es leuchtet und strahlt die Herrlichkeit Gottes wider. Jesus, das Lamm Gottes, ist der lebendige Tempel dieser heiligen Stadt, denn einen Tempel aus Stein gebaut hat diese Stadt, die vom Himmel herabkommt, nicht. Keine Angst, ich halte jetzt hier keinen Religionsunterricht ab zum Thema „Lamm“ und so… 
Aber mir ist eingefallen, dass auf dem ersten Altar dieser Kapelle, der aus Holz war und „hinter“ dieser Orgel stand, dieses Lamm Gottes geschnitzt unter dem Altar zu sehen war. 
Wir feiern heute (und auch schon gestern Abend) unsere Konviktgemeinde, die sich seit dieser Zeit, in der dieses Lamm aus Holz noch am Altar sichtbar war, um vieles weiterentwickelt hat - und wieder ist das Lamm da, zwar nicht in Form einer Schnitzerei, sondern als bildhafter Gedanke, der an diesem Sonntag in der Lesung dargestellt wird. Und ich finde, man kann dieses Bild vom Lamm und der heiligen Stadt in einen interessanten Zusammenhang mit diesem Fest bringen. 

5 Jahre ist die sog. Konviktgemeinde nun auf einem neuen und auch spannenden Weg. Es ist ein Weg, der mit viel Unsicherheit und Zweifel begonnen hat. Die Gemeinde, die es gewöhnt war, hier Sonntag für Sonntag eine Messe mit einem Priester zu feiern, stand vor einer düsteren Zukunft. Wir wollen unbedingt Gottesdienstgemeinde bleiben, aber wie soll das gehen ohne die gewohnte kirchliche Struktur. Nämlich, dass ein Priester (OSFS) den Vorsteher macht, und weiterhin die vielen fleißigen HelferInnen ihre Mitarbeit anbieten. Ohne Priester keine Messe und daher wird sich da nicht viel machen lassen. ABER DIESE STADT HAT ZWÖLF TORE, d.h. sie war und ist nach ALLEN SEITEN UND WINDRICHTUNGEN OFFEN. Diese Offenheit und die Bereitschaft, durch diese Tore neue Ideen, frischen Wind, neue Menschen, neue Gottesdienstformen, neue Veranstaltungen hereinzulassen, hat diese Gemeinde – hat diese heilige Stadt - mit der Herrlichkeit Gottes erfüllt, und ihr Glanz hat ausgestrahlt, da und dort Gemeindezuwachs beschert und zu Mitarbeit und Mitgestaltung motiviert. Was zunächst wie eine Zerreißprobe ausgesehen hat! – Nach dem Motto: Was ist dir wichtiger – sonntägliche Eucharistie oder Sonntagskirche – unterschiedlich gestaltet – wenn möglich einmal im Monat Eucharistie, und sonst andere Formen von Gottesdiensten, zu denen sich die Gemeinde versammelt und Kirche erlebt. Die Zerreißprobe wurde überstanden – und je mehr MitarbeiterInnen zur aktiven Teilnahme an den Gottesdiensten bereit waren, umso mehr wurde die Abhängigkeit vom geweihten Priester zum Bewusstsein entwickelt, dass wir alle, jede Christin und jeder Christ in der Taufe die Teilnahme am allgemeinen Priestertum erworben haben – durch die Salbung mit dem Chrisamöl. Damit kam das Priestertum wie die heilige Stadt aus dem Himmel herab auf die Erde und zeigte ihre Herrlichkeit in jedem ihrer Mitglieder. Die Grundsteine, die die Mauer zusammenhält, sind die, die bereit sind zum apostolischen Dienst - also bereit sind, lebendige Kirche zu sein und zu leben. Deshalb ist auch in dieser Stadt kein Tempel, kein fixes und festes Mauer- oder Regelwerk vorhanden, das wieder nur die Dynamik, den heiligen Geist, in Schranken halten würde.

Diese Stadt hat das Lamm als ihre Leuchte. Die 12 Stämme Israels und damit die 12 Tore dieser Stadt sind auf diesem neuen Altar vorhanden. Und er soll uns jedes Mal daran erinnern, dass wir eine offene Gemeinde sind, offen nach allen Windrichtungen, offen für alle, die in diese Stadt hineinwollen – und auch offen und nicht enttäuscht denjenigen gegenüber, die vielleicht aus dieser Stadt wieder hinauswollen. Das ist die Botschaft des Lammes, das dieser Stadt das Licht gibt, denn Sonne und Mond braucht sie nicht, um hinaus zu strahlen durch ihre offenen Tore in die Welt von heute, die auf der Suche ist nach einer Kirche, die sich der Menschen und ihrer Themen annimmt, wie sie eben sind. Auf sie den Glanz des Lammes ausstrahlen zu lassen, damit sie neugierig werden und hereinkommen in diese Stadt, in diese Gemeinde.

Das Evangelium des heutigen Sonntags verbreitet Abschiedsstimmung: Ich gehe fort – sagt Jesus. Und wer ihn liebt, wird an seinem Wort festhalten. Abschied heißt aber auch immer gegen das Festhalten ankämpfen – und im Festhalten ist unsere Kirche ja Meister. Jesus aber will Mündigkeit, Experimentierfreude und Selbstwerdung seiner Kirche. Dafür hinterlässt er uns seinen Geist, den heiligen Geist, der uns immer daran erinnert: was nicht aus Liebe geschieht, auch in seiner Kirche, wird keine Zukunft haben und keinen andauernden Frieden.

5 Jahre ist diese Gemeinde hier auf dem Weg und sie ist lebendig und geistvoll, weil sie auf der Freiheit Gottes aufbaut, die jeden Menschen ernst nimmt, ihn aber auch die Verantwortung überträgt, die die Liebe braucht, damit lebendige Kirche wachsen und reifen kann. Daher dürfen wir dieses Lamm feiern, das Lamm Gottes, das unsere Leuchte ist und unser Mittelpunkt, aus dem heraus wir Kraft und Leben schöpfen. Amen