Auslegung Joh 6,60-69
Liebe Schwestern und Brüder!
Da ist Jesus wohl in eine echte Krise hineingeraten.
Ihm laufen die Leute weg. So erzählt es uns der Evangelien-Abschnitt, den wir gerade gehört haben. Joh 6,60-69
Wenn einer Firma die Kunden weglaufen, dann schrillen die Alarmglocken, dann wird das Personal ausgewechselt oder neu geschult, dann wird die
Werbung verstärkt und mit Sonderangeboten gelockt. Dann wird alles unternommen, um die Kunden wieder zurück zu holen.
Warum macht Jesus nicht auch so etwas?
Warum lässt er die JüngeInnen einfach weggehen- ja, er treibt sie geradezu weg mit seinen harten Worten.
Sogar seinen engsten Freunden stößt er vor den Kopf und fragt sie: ‘‘Wollt ihr nicht auch noch gehe?“
Kann Jesus nicht anders mit den Menschen umgehen?
Was ist passiert, dass es zu solchen Konfrontationen kommt?
Nun, in der Tat, Jesus führt diese Krise tatsächlich selbst herbei. Er spürt nämlich, dass er falsch verstanden wird,,,
die Leute, die da mit ihm umherziehen, seine JüngerInnen, die haben falsche Erwartungen an ihm.
Und wir können auch sagen warum:
Ein paar Verse vorher wird von der Brotvermehrung erzählt. Und davor wird von Heilungen berichtet. Und die Leute meinen wohl, dass würde wohl so weitergehen. Sie wollen Jesus sogar mit Gewalt zu ihrem König machen. So ein König, das wäre nämlich toll.
Und Jesus scheint es wohl gerade klar geworden zu sein, dass diese Leute ihm nachlaufen, weil sie Erwartungen an ihn haben, die er gar nicht erfüllen will.
Sie wollen nämlich Wunder. Die einen wollen Brotwunder, damit sie jeden Tag was zu essen haben. Und die anderen laufen ihm nach, um von Krankheiten
geheilt zu werden. Für sie ist Jesus der „Mann für alle Fälle“. Wenn sie so einen König hätten- dann hätten alle ausgesorgt.
Jesus könnte ihnen alle Wünsche erfüllen- und sie wären zufrieden. Ein Leben wie im Paradies.
Aber genau das will Jesus nicht: Er will kein Wunder-Rabbi sein, sondern er will die Menschen zu Gott führen, zu Gott und seinem Reich.
Aber das geht nicht mit MIT-LÄUFERN, das geht auch nicht mit Leuten, die auf Wunder abfahren und mal was erleben wollen, sondern dazu braucht er Überzeugte, Glaubende.
Menschen, die sich für ihn entscheiden, weil sie spüren: Dieser Jesus will uns nicht mal für einen Tag satt machen, sondern er will uns Heil schenken, Heil, das von Gott kommt.
Und so muss Jesus diese Menschen so brüskieren, er muss sie vor den Kopf stoßen, damit sie ihn nicht länger missverstehen und keine Erwartungen an ihn haben.
Liebe Schwestern und Brüder!
Falsche Erwartungen führen immer zu Enttäuschungen und Verärgerung. Das ist so, wenn es um Menschen geht, um Partner, Freundinnen und Freunde,
das ist so, wenn es um Gott geht- und auch, wenn es um die Kirche geht. Auch hier gibt es falsch Erwartungen.
Bischof Wanke hat einmal in einem Hirtenbrief geschrieben: Kirche ist für alle da, aber nicht für alles. Und er wollte wohl damit sagen, dass in der Kirche Platz sein muss für alle, für Menschen, die noch fragen und suchen- und für die, die Antwort geben
können, weil sie schon gefunden haben, was sie suchen. In der Kirche muss Platz sein für solche, die mit ihrem Leben gut zurechtkommen und die Erfolg haben, aber auch für die, die mit ihrem Leben nicht zurechtkommen und dauernd Misserfolge haben. Kirche muss Platz haben für Gesunde und für Kranke, für Starke und für
Schwache- für Heilige und für Sünder. Und die Starken, Erfolgreichen müssen wissen, dass sie gerufen sind, den anderen zu Helfen und beizustehen- damit keiner verloren geht.
Aber Kirche ist kein Serviceunternehmen, das man bestellen kann, nur damit es einem die privaten Feste verschönert und es feierlicher macht- und das man wieder abhakt, wenn es vorbei ist.
Kirche ist kein Betrieb, der alles mitmacht, nur damit keiner wegläuft.
Nein, Kirche und Glaube ist mehr. Eine Lebensgemeinschaft von Menschen, die für einander da sind, weil sie sich zu Gott gerufen fühlen und sie sich bewusst für Christus entschieden haben.
Kirche und Glaube ist Gemeinschaft, in der es so viel Liebe und Barmherzigkeit geben muss, so viel Achtsamkeit für einander und so viel Solidarität der Großen und Starken mit den Kleinen und Schwachen, damit jeder der gefragt wird, ob er nicht lieber gehen möchte, sagen müsste NEIN! Wohin sollte ich den
gehen???
Außerdem ist es mit dem gehen allein nicht getan. Wenn man geht dann muss man wissen wohin man geht- dann sollte man ein neues lohnendes Ziel haben, ein Lebensziel, auf das man zugehen kann. Dem modernen Menschen bietet sich ja vielerlei an als Ziele, die er erreichen möchte. Vieles davon ist verlockend und bequem und unterhaltsam. In der Fülle der Möglichkeiten hat der Mensch es sicher nicht immer leicht, wenn er die Orientierung für sein großes Lebensziel nicht verlieren will.
Also wohin sollte ich gehen?
Meine Antwort ist: Warum sollte ich weg gehen wenn ich hier leben kann, wo ich spüre, dass Gott hier ist- mitten unter den Menschen. Eine liebenswerte und lebenswerte Kirche, die gibt es sicher noch nicht in Vollendung- die fällt auch nicht vom Himmel und die kann man nicht mit Gesetzen anordnen- aber wir, wir können versuchen, sie Wirklichkeit werden zu lassen, wir können daran mit bauen- und zwar genau dort wo wir leben.
Und den Geist, der das möglich macht, den haben wir schon empfangen in der Taufe- und den empfangen wir jeden Tag neu.
Amen